13.02.2017 • Frankenpost (Германия)

ElenaPress

Patricia Kaas: “Ich muss mir nichts mehr beweisen”

Patricia Kaas’ Stimme erinnert an Edith Piaf. Ihre Karriere startete Kaas vor 30 Jahren in Saarbrücken. Derzeit ist sie ihrem zehnten Album “Patricia Kaas” auf Welttournee.

Nach fast 13 Jahren ist „Patricia Kaas“ das erste Album, auf dem Sie wieder eigene Stücke singen. Wie kam es dazu?
Zuletzt habe ich das Konzeptalbum „Kabaret“ und eine Hommage an Edith Piaf gemacht. Mir war gar nicht bewusst, dass mein letztes Album mit eigenen Songs schon 13 Jahre her ist. Die Zeit vergeht so schnell, mein Gott! Ich wollte eine typische Patricia-Kaas-Platte machen mit allem, was man an mir liebt. Sie sollte sehr elegant klingen.

Welche Vision hatten Sie von der Platte?
Da ich meine Lieder von anderen schreiben lasse, entwickelt sich so ein Album von selbst mit den Liedern und Texten, die ich bekomme. Erst dann weiß ich, wo das Album genau hingeht. In den letzten zwei Jahren habe ich mehr Selbstvertrauen gewonnen. Nach einer 30-jährigen Karriere muss ich mir selbst nichts mehr beweisen. Ich wollte auf meinem Album nicht nur Liebeslieder haben, sondern auch engagiertere Songs. Ein Autor hat für mich zum Beispiel ein Lied über Inzest geschrieben. Ich singe es, weil sowas praktisch überall hinter verschlossenen Türen passiert. Ich will mich thematisch nicht einschränken.

Wie haben Sie die Songschreiber ausgewählt?
Ich wollte gar nicht wissen, von wem die Lieder stammen, es war wie ein Blind Date. „Marre De Mont Amant“ hat zum Beispiel der belgische Popsänger Arno für mich geschrieben, den ich sehr gerne mag. Zuerst singe ich die Lieder nur zum Piano, um zu sehen, ob sie auch zu mir passen. Ein gutes Lied funktioniert auch so. „Marre De Mont Amant“ habe ich nur einmal gesungen, und diese Aufnahme ist dann auf dem Album gelandet. Früher hätte ich mir sowas nicht zugetraut.

Wie haben Sie reagiert, als Ihnen „La Mainson En Bord De Mer“ angeboten wurde, das besagte Inzest-Lied?
Für mich war das überhaupt kein Problem. Meine früheren Alben habe ich selbst produziert, diesmal habe ich mir einen künstlerischen Leiter gesucht, weil ich mich aufs Wesentliche konzentrieren wollte. Ich habe sogar mein Haus in der Provence verkauft, um mein Leben ein bisschen leichter zu machen. Mein musikalischer Leiter präsentierte mir das Lied „La Maison En Bord De Mer“, aber er war nicht sicher, ob ich es singen wolle. Ich hörte es mir an und sagte ihm, dass ich es auf meinem Album haben will. Weil das Thema aktuell und wichtig ist. Insofern hat es auch nichts Mutiges, es zu singen. Warum sollte man es verschweigen? Manchmal habe ich das Gefühl, wir bewegen uns zurück in die Zeit, als man sich noch nicht traute, über Aids zu sprechen.

Die Platte wurde in Paris von den Briten Jonathan Quarmby und Fin Greenall alias Fink produziert. Wie kam es dazu?
Fink ist ein toller Künstler. Eines Tages habe ich ihn per Facebook kontaktiert mit dem Wunsch, mit ihm arbeiten zu wollen. Naja, er hat dann ein paar Songs für mich arrangiert. Ich wollte die Platte an einem Ort aufnehmen, an dem ich noch nie gewesen war. Auch, weil mein Hund nicht mehr lebt, der im Studio stets dabei war. Daran wollte ich nicht erinnert werden. Ich war in meinem Kopf auf Neues eingestellt, ich brauchte eine neue Band und andere Leute um mich herum. Obwohl die Themen manchmal schwer sind, klingt die Platte für mein Empfinden leicht. Die erste Singleauskopplung „Madame Tout Le Monde“ hingegen klingt eher so, wie man es von mir kennt. Es ist ein Lied fürs Radio.

In welcher Stimmung waren Sie, als Sie das Album machten?
Die letzten Jahre waren für mich schwierig, ich hatte einen Burnout. Das lag daran, dass ich zehn Jahre lang viel Emotionales gemacht hatte. So schrieb ich meine Autobiografie und spielte in einem Fernsehfilm eine Mutter, die ihr Kind verliert. Ich war mit den Liedern von Edith Piaf auf Tour und verlor meinen kleinen Hund. Irgendwann hatte ich das Gefühl, meine Schultern sind nicht mehr breit genug. Zum Glück gab es eine Person, mit der ich darüber reden konnte. Ich bin stolz auf meine Karriere, aber ich kann nicht akzeptieren, immer nur stark zu sein. Manchmal ist man müde. Inzwischen habe ich aber wieder Selbstvertrauen gewonnen. „Adele“ geht um ein Teenagermädchen mit seinen Problemen. In dem Lied nehme ich sie bei der Hand und erzähle ihr, wie schwer das Leben ist. Auch, weil sie ein Mädchen ist. Das erste Mal in meinem Leben habe ich das Gefühl, dass ich so jemanden an die Hand nehmen kann. Ich wäre gerne diese Adele gewesen.

Sie haben mal gesagt, dass Sie wissen, was kämpfen bedeutet. Gegen wen oder was kämpfen Sie?
Vielleicht gegen mich selbst. Das war wahrscheinlich das schwierigste. In meinem Beruf muss man sich immer durchsetzen und sich beweisen. Selbst wenn es einem nicht so gut geht, muss man sagen: „Ja, es ist okay“. Das ist nicht einfach. Mein Vater war Grubenarbeiter und meine Mutter hat sieben Kinder zur Welt gebracht. Klagen gab es bei uns zuhause nicht. Man musste sich immer durchsetzen. Aber inzwischen habe ich Frieden mit mir selbst gemacht.

Wenn Sie eine Sache ändern könnten, welche wäre es?
Wahrscheinlich nur Kleinigkeiten. Auf meinen Burnout hätte ich verzichten können.

Sie werden im Dezember 50. Verstehen Sie Ihr Album als Geburtstagsgeschenk?
Ehrlich gesagt nein. 50 ist eine hässliche Zahl, aber in meinem Kopf fühle ich mich gut. Diese Zahl begleitet mich jetzt neun Jahre lang.

Was wünschen Sie sich für die nächsten 50 Jahre?
Es kommt drauf an, wie man zu diesen 100 kommt. Das Leben ist voller Überraschungen. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal einen Burnout erleiden werde. Manche werden jetzt sagen, dieses Album ist mein Comeback, aber ich hasse dieses Wort. Ich war ja in den letzten Jahren immer da mit verschiedenen Projekten. Aber in den Liedern, die ich ausgewählt habe, kann man schon einen Neustart spüren. Als ich aus dem Studio ging, habe ich geweint. Doch es gibt im Leben auch noch etwas anderes als Platten aufnehmen und auf Tour gehen. Ich gehe auch gern ins Kino und treffe mich mit Freunden.

Sind Sie heute noch mit Gérard Depardieu und Alain Delon befreundet?
Ich war nicht wirklich befreundet mit Gérard Depardieu. Er hat meine erste Single finanziert, aber ich habe ihn nur zwei- oder dreimal gesehen. Wenn wir uns begegnen, sagen wir hallo und das war’s. Mit Alain Delon ist es ein bisschen anders. Ihn kenne ich besser als Depardieu, aber er hat so seine Phasen, wo er sich total einschließt bis zu dem Tag, an dem er dich anruft, um dir Neuigkeiten mitzuteilen. Das ist halt sein Charakter.

Was ist das für ein Gefühl, in der heutigen Zeit in Paris zu leben und zu arbeiten?
Das Leben geht auch nach den Anschlägen weiter. Man konnte hier sehr lange Angst spüren, aber es ist ein bisschen besser geworden. Die Leute sind wieder etwas offener. Pariser sind sehr mutig, aber sobald man irgendwo einen Knall hört, springen alle erschrocken auf. Die Medien tragen ihren Teil zu dieser Stimmung bei. Es sind ja nicht nur die Attentate, sondern auch all die anderen Geschichten wie die Flüchtlingskrise und die europäische Krise. Die Menschen leben zwar, aber viel einfacher als früher. Ich sehe das auch an meiner Familie.

Sie sind im lothringischen Ort Stiring-Wendel unmittelbar an der deutsch-französischen Grenze aufgewachen. War Deutschland wichtig für Ihre Künstlerwerdung?
Für meine Karriere nicht, aber die Zeit in Saarbrücken war auf jeden Fall eine gute Schule für meine Charakterbildung, weil ich dort gelernt habe, auf einer Bühne zu stehen. Lothringen auf der französischen und das Saarland auf der deutschen Seite waren für mich ein und dasselbe Land. Und auch mein Blut, denn meine Mutter war Deutsche und mein Vater Franzose.

2003 verlieh Ihnen der damalige Bundespräsident Johannes Rau das Bundesverdienstkreuz wegen Ihres Einsatzes für die deutsch-französische Freundschaft.
Darauf war ich sehr stolz. Als ich das Bundesverdienstkreuz in Paris verlieren bekommen habe, musste ich ein bisschen schmunzeln, denn ich hatte ja gar nichts dafür getan. Ich bin an der Grenze geboren, mein Blut ist deutsch und französisch. Aber ich war auch im Kosovo oder in Tschernobyl. Vor zwei Tagen hatte ich ein Fotoshooting, dafür sollte ich etwas von zuhause mitbringen, was mir wichtig ist. Als ich dann das Bundesverdienstkreuz mitbrachte, meinte der Journalist, ein Preis interessiere ihn weniger. Er hätte lieber etwas Persönlicheres gehabt. Da sagte ich zum ihm: „Das ist für mich keine normale Trophäe, das ist mein Blut!“ Als ich in Frankreich anfing zu singen, war es für mich sehr wichtig, auch in Deutschland Erfolg zu haben, obwohl man mir damals gesagte hatte, das könne ich vergessen. Ich wollte das aber selbst herausfinden. Heute habe ich in Deutschland ein Publikum. Und zwar, weil meine Mutter Deutsche und weil Deutsch meine erste Sprache war.

Musik kennt keine Sprachbarriere, sie ist völkerverbindend. Und dennoch keimt überall auf der Welt neuer Nationalismus auf. Wie denken Sie darüber?
Europa zerbricht! So denke ich darüber. Das, was früher zusammenhalten und stark sein sollte, zerfällt heute. Aber von der Musik her hat sich dadurch nicht viel geändert. Ich trete immer noch da auf, wo ich früher aufgetreten bin. Da sehe ich keinen Unterschied. Zum Glück! Die deutsch-französische Freundschaft ist immer noch intakt. Ich glaube, diese Verständigung ist einfach da. Und zwar auf ganz natürliche Weise. Oder es müsste den Beziehungen sehr schlecht gehen, dass ich mal den Mund aufmache und darüber etwas sage.

Werden Sie bei dieser Tour auch ein paar deutsche Lieder singen?
Man soll nie nie sagen, aber es ist nicht geplant. Damals habe ich „Ganz und gar“ von Marius Müller-Westernhagen und ein originelles Lied von Rosenstolz auf Deutsch gesungen. Komischerweise waren das nicht die Titel, die man von mir am meisten verlangt hatte. Die Menschen lieben mich für die französische Musik, und ich glaube, sie sind schon sehr berührt, wenn ich mit ihnen ein bisschen auf Deutsch rede.

Wie setzen Sie das Album optisch um?
Ich muss sagen, ich bin ein bisschen spät dran mit all diesem. Ich nehme mir aber die Angst, indem ich mir sage, dass ich ja diese Lieder und diese Band habe. Das ist doch okay. Diese Tour wird nicht so eine Show wie „Cabaret“ oder „Chante Piaf“ werden, sondern eher so wie ein Konzert. Ich denke da an ein kleines Bühnenbild ohne große Umbauten. Voilà!

Patricia Kaas auf Tour
Die fanzösische Sängerin geht auf Welttournee und tritt am 25. Februar um 20 Uhr in der Meistersingerhalle in Nürnberg auf. Karten dafür gibt es bei uns.

Источник:
Frankenpost